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Anträge der DIE FRAKTION

  • Titel: Bekenntnis zur politischen Vielfalt der Frankfurter Kommunalpolitik
  • Antragssteller*in: FRAKTION 
  • Datum: 08.02.2017 (letzte Aktualisierung des Sachstandes: 03.02.2020)
  • Beschreibung:

    Betreff:

    Bekenntnis zur politischen Vielfalt der Frankfurter Kommunalpolitik

    Im Juni hat der Landtag des Landes Nordrhein-Westfalen ein sogenanntes "Kommunalvertretungsstärkungsgesetz" beschlossen. Dieses sieht eine Änderung der Landesverfassung vor, wonach bei Wahlen der Gemeinderäte (Stadtverordnetenversammlungen), Bezirksvertretungen und Kreistagen eine Sperrklausel eingeführt wird, die bei 2,5 Prozent liegen soll. Mittlerweile sind gegen diese Änderung der Landesverfassung ein halbes Dutzend eingeleitete Organstreitverfahren beim nordrhein-westfälischen Verfassungsgerichtshof anhängig.

     

    Die Aktivitäten des nordrhein-westfälischen Landtages müssen auch von der Stadt Frankfurt verfolgt werden: Im hessischen Landtag befasst sich derzeit die Enquetekommission "Verfassungskonvent zur Änderung der Verfassung des Landes Hessen" mit einer Überarbeitung der derzeit gültigen Hessischen Landesverfassung aus dem Jahr 1946. Es ist mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass eine Sperrklausel auf Kommunalebene, sollte das nordrhein-westfälische Vorbild vom Verfassungsgerichtshof nicht für verfassungswidrig erklärt werden, auch in Hessen eingeführt werden soll.

     

    Als Indiz hierfür können unter anderem Aussagen des Direktors des kommunalen Spitzenverbandes "Hessischer Städte- und Gemeindebund e.V." (HSGB) der kreisangehörigen Gemeinden in Hessen, Diedrich Backhaus, herangezogen werden. Backhaus und der HSGB machen sich für eine Sperrklausel nach nordrhein-westfälischem Vorbild auf kommunaler Ebene in Hessen stark, da sie die Leistungsfähigkeit der Parlamente durch die Zunahme der parteipolitischen Vielstimmigkeit bedroht sehen. Die Begründung des nordrhein-westfälischen Landtags zur Einführung des Kommunalvertretungsstärkungsgesetzes ist sehr ähnlich gelagert.

     

    Die Argumentation verkennt jedoch die grundsätzliche Konkurrenz zwischen politischen Parteien, die, soweit sie durch wahlrechtliche Regelungen bestimmt wird, normativ als Wettbewerbsrecht strukturiert ist, wie es unter anderem der renommierte Staatsrechtler Prof. Dr. Martin Morlok vertritt. Ein Eingriff in das Wahlrecht, wie vom HSGB befürwortet, würde zugleich eine Entscheidung über das Kräfteverhältnis zwischen den politischen Parteien darstellen, denn angesichts der festen, jedenfalls aber begrenzen Zahl zu verteilender Mandate stellt sich der Vorteil der einen als Nachteil der anderen Bewerber dar.

     

    Die Einführung einer kommunalwahlrechtlichen Sperrklausel greift in den politischen Wettbewerb ein, denn die Nichtberücksichtigung derjenigen Stimmen, die für eine Partei abgegeben wurden, welche den vorgesehenen Stimmenanteil nicht erringen konnte, führt zu einer Bevorzugung der in Konkurrenz stehenden erfolgreichen und parlamentarische Mandate erringenden Parteien, indem die den unberücksichtigten Stimmen entsprechende Zahl der Sitze an die in der Volksvertretung vertretenen Parteien verteilt wird.

     

    Dies könnte im Fall der Stadt Frankfurt erhebliche Folgen haben und gravierende Veränderungen in der kommunal-politischen Landschaft nach sich ziehen. Die vom HSGB kritisierte parteipolitische Vielstimmigkeit in den Parlamenten ist im Frankfurter Stadtparlament ein Phänomen, welches sich in den letzten Jahren etabliert hat. Seit der Kommunalwahl im Jahre 2001 waren stets zehn oder mehr Parteien im Frankfurter Stadtparlament vertreten:

     

    - Kommunalwahl 2001:  - 10 -  Parteien mit Sitz im Stadtparlament

     

    - Kommunalwahl 2006:  - 11 -  Parteien mit Sitz im Stadtparlament

     

    - Kommunalwahl 2011:  - 13 -  Parteien mit Sitz im Stadtparlament

     

    - Kommunalwahl 2016:  - 15 -  Parteien mit Sitz im Stadtparlament

    (wobei sich der Abgeordnete von ehem. "ALFA" - heute "LKR" sich einer Fraktion der

    Regierungsparteien angeschlossen hat)

     

    Als in der Wahlperiode 2001 bis 2006 lediglich zehn Parteien in der Stadtverordnetenversammlung vertreten waren, bildete sich eine Koalition aus CDU, Grünen und FDP, die schon bei der Wahl der ehrenamtlichen Stadträte zerbrach und letztlich zu einer Kooperation der vier größten Parteien im Römer führte.

     

    Trotz steigender Anzahl der unterschiedlichen Parteien im Frankfurter Stadtparlament in den Wahlperioden von 2006 bis 2011 sowie 2011 bis 2016 konnten stabile Mehrheiten gebildet werden. Die Koalition aus CDU und Grünen zehn Jahre lang kontinuierlich regieren, die nach der Kommunalwahl 2016 von der derzeitigen Koalition aus CDU, SPD und Grünen abgelöst wurde.

     

    Von einer Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit des Stadtparlaments durch die Pluralisierung des im Parlament vertretenen Parteienspektrums kann retrospektiv nicht die Rede sein. Vielmehr ist die parlamentarische Historie der Stadt Frankfurt ein der These der Funktionsbeeinträchtigung in Bezug auf die Bildung stabiler Mehrheiten ein widersprechender Beleg.

     

    Eine genauere Betrachtung der Wahlergebnisse der vergangenen vier Kommunalwahlen deutlich, dass der Stimmanteil für kleinere Parteien und Listen sich von 2001 bis 2016 im Mittel verdoppelt hat. Dies korreliert mit der steigenden Anzahl an Parteien und Listen, die mit einem Wahlergebnis unter 2,5 Prozent der Stimmen in das Stadtparlament

     

    - Kommunalwahl 2001:  9 angetretene Parteien und Listen mit einem Stimmenanteil unter 2,5 Prozent vereinen einen Gesamtstimmenanteil von 5,6 Prozent

    à

    4 Parteien/Listen konnten in das Stadtparlament einziehen.

    à

    6 Parteien/Listen mit über 2,5 Prozent der Stimmen im Parlament vertreten

     

    Kommunalwahl 2006:  4 angetretene Parteien und Listen mit einem Stimmenanteil unter 2,5 Prozent vereinen einen Gesamtstimmenanteil von 4,9 Prozent

    à

    4 Parteien/Listen konnten in das Stadtparlament einziehen

    à

    7 Parteien/Listen mit über 2,5 Prozent der Stimmen im Parlament vertreten

     

    Kommunalwahl 2011:  12 angetretene Parteien und Listen mit einem Stimmenanteil unter 2,5 Prozent vereinen einen Gesamtstimmenanteil von 9,3 Prozent

    à

    7 Parteien/Listen konnten in das Stadtparlament einziehen

    à

    6 Parteien/Listen mit über 2,5 Prozent der Stimmen im Parlament vertreten

     

    Kommunalwahl 2016:  13 angetretene Parteien und Listen mit einem Stimmenanteil unter 2,5 Prozent vereinen einen Gesamtstimmenanteil von 9,7 Prozent

    à

    8 Parteien/Listen konnten in das Stadtparlament einziehen

    à

    7 Parteien/Listen mit über 2,5 Prozent der Stimmen im Parlament vertreten

     

    Die Auflistung macht deutlich: Im Zuge der Kommunalwahlreform des Landes Hessen im Jahre 1999 - "Gesetz zur Stärkung der Bürgerbeteiligung und der kommunalen Selbstverwaltung" -  in deren Rahmen die Möglichkeit des Kumulieren und Panaschieren eingeführt und die Sperrklausel (sog. "5-Prozent-Hürde") abgeschafft wurde, hat sich das Wahlverhalten der wahlberechtigten Bürgerinnen und Bürger der Stadt Frankfurt verändert.

     

    Die tendenzielle Stärkung kleinerer Parteien und Listen, die sich auch im Titel des Gesetzes wiederfindet, hat in Frankfurt Fürchte getragen: Die politische Landschaft hat sich entsprechend in den letzten 16 Jahren kommunalpolitisch pluralisiert. Die Politik ist damit näher an die Interessen, Bedürfnisse und Wünsche der Wahlberechtigten herangerückt und eröffnet somit ein breites Spektrum hinsichtlich der konkreten interessengeleiteten Partizipation der wahlberechtigten Bürgerinnen und Bürger auf kommunaler Ebene.

     

    Die Einführung einer Sperrklausel könnte diesen Erfolg zunichtemachen, da sie auch die Einschätzung der Wähler von den Chancen kleinerer Parteien, in das zu wählende Parlament einzuziehen, prägen. Dies führt bei den Wählerinnen und Wählern zur Sorge, dass die eigene Stimme aufgrund einer wahlrechtlichen Sperrklausel keine "mechanische Wirkung"  entfalten kann, da sie keine positive Mandatsverschaffungsmacht ausüben kann, und somit keine Vertretung im Parlament findet. Hierbei handelt es sich folglich um eine Beeinträchtigung des aktiven Wahlrechts, da die wählende Person befürchten muss, die abgegebene Stimme "zu verlieren".

     

    Sperrklauseln üben so eine wesentliche psychologische Vorwirkung auf das Wahlverhalten aus. Diese "psychologische Wirkung" fällt letztlich auf den Wahlvorschlag der angetretenen Gruppierung zurück, da die inhaltliche Ausrichtung der Partei oder Liste in den Hintergrund tritt und die Frage des potentiellen Einzuges der Gruppierung in das Parlament die Wahlentscheidung dominiert. Die eigentlichen politischen Präferenzen werden also nicht nur wegen der mechanischen Wirkung der Sperrklausel in der Sitzverteilung des Parlaments nichtmehr ausgedrückt, sondern sie schlagen sich bereits gar nicht mehr unverfälscht in der Stimmabgabe nieder. Die eigene Stimme nicht nach der eigentlichen politischen Präferenz abzugeben, sondern zugunsten einer anderen, als chancenreicher eingeschätzten Partei, ist nichts anderes als eine besondere Form der "Leihstimme" zugunsten größerer Parteien.

     

    Sollte durch den Landtag des Landes Hessen im Zuge der Neufassung der Landesverfassung es zu einer Verfassungsänderung samt Einführung einer Sperrklausel auf kommunaler Ebene kommen, so stellt dies einen inhaltlichen Eingriff durch Akteure dar, die selbst Teil des politischen Wettbewerbs sind. Weil es sich tendenziell um eine "Gesetzgebung zu Lasten Dritter", nämlich der kleinen, nicht im Parlament vertretenen Parteien und Listen, handelt, fehlt es im Gesetzgebungsprozess am korrigierenden Element gegenläufiger politischer Interessen.

     

    Gesetzt des Falles, dass tatsächlich eine erhebliche und weitflächige Funktionsstörung des Parlaments mit hinreichender Sicherheit festgestellt oder prognostiziert wird, ist weiterhin zu prüfen, ob durch andere Mittel Abhilfe geschaffen werden kann, wie etwa durch Änderungen der Geschäftsordnungen der Kommunalparlamente, bevor zum scharfen Mittel einer wahlrechtlichen Sperrklausel gegriffen wird.

     

    Aktuelle Beiträge zum rechtswissenschaftlichen Diskurs stützen eine mehr als zurückhaltend ablehnende Position der Einführung von Sperrklauseln gegenüber. Im juristischen Standardwerk "Parlamentsrecht" (Hgg. Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Nomos-Verlag) kommentiert die Vizepräsidentin des hessischen Staatsgerichtshofes und  Dekanin des Fachbereiches Rechtswissenschaft an der Frankfurter Goethe-Universität, Ute Sacksofsky, Sperrklauseln dezidiert kritisch. Sacksofsky hält die Verankerung von Sperrklauseln auf Ebene der Verfassung für ungerechtfertigt und schließt sich dabei im Kern der Urteilsbegründung des Bundesverfassungsgerichts vom 9. September 2011 an: Das Verfassungsgericht erklärte damals eine Sperrklausel, die der Deutsche Bundestag im Hinblick auf die Europawahl 2014 eingeführt hatte, für verfassungswidrig, da die Vereinbarkeit einer Sperrklausel mit dem Grundsatz der Wahlgleichheit nicht ein für alle Mal abstrakt zu beurteilen möglich sei. Diese Beurteilung könne hinsichtlich der konkreten Funktion des zu wählenden Organs sowie zu verschiedenen Zeitpunkten unterschiedlich ausfallen. Darüber hinaus lehnt Sacksofsky die bloße allgemeine und abstrakte Behauptung, dass durch das Fehlen einer Sperrklausel der Einzug von Splitterparteien in ein Vertretungsorgan erleichtert und die Willensbildung dadurch erschwert, nicht als hinreichend begründet ab.

     

    Die Stadtverordnetenversammlung bekennt sich daher zur politischen Vielfalt in der Frankfurter Kommunalpolitik, die sich seit der Reform des Hessischen Kommunalwahlrechts seit der Kommunalwahl 2001 etabliert hat. Diese Vielfalt in Form politischer Vielfalt hat das Parlament der Stadtverordneten näher an Bürgerinnen und Bürger heranrücken lassen. Deshalb lehnt die Stadtverordnetenversammlung der Stadt Frankfurt am Main jegliche Form einer wahlrechtlichen Sperrklausel, die in der hessischen Landesverfassung verankert werden kann, ab und appelliert an die Enquetekommission "Verfassungskonvent zur Änderung der Verfassung des Landes Hessen" im hessischen Landtag etwaige Bestrebungen hinsichtlich einer Sperrklausel im Sinne der Wahlberechtigten und zu Gunsten der Stärkung des aktiven Wahlrechts einer jeden Wählerin und eines jeden Wählers einzustellen.

     

    Antragsteller:

               FRAKTION

    Antragstellende Person(en):

               Stadtv. Nico Wehnemann

               Stadtv. Herbert Förster

               Stadtv. Thomas Schmitt

    Vertraulichkeit: Nein

    Zuständige Ausschüsse:

               Haupt- und Finanzausschuss

               Ausschuss für Recht, Verwaltung und Sicherheit

    Versandpaket: 22.02.2017

    Beratungsergebnisse:

    9. Sitzung des Ausschusses für Recht, Verwaltung und Sicherheit am 20.03.2017

    , TO I, TOP 17

     

     

     

     

    Bericht:

    TO II

    Die Stadtverordnetenversammlung wolle beschließen:

    Es dient zur Kenntnis, dass der Ausschuss für Recht, Verwaltung und Sicherheit die Beratung der Vorlage NR 250 auf den Haupt- und Finanzausschuss delegiert hat.

    Abstimmung:

    CDU, SPD, GRÜNE, AfD, LINKE., FDP, BFF, FRAKTION und FRANKFURTER

    10. Sitzung des Haupt- und Finanzausschusses am 21.03.2017

    , TO I, TOP 22

     

     

     

     

    Bericht:

    TO I

    Die Stadtverordnetenversammlung wolle beschließen:

    Die Vorlage NR 250 wird abgelehnt.

    Abstimmung:

    CDU, SPD, GRÜNE und BFF gegen AfD, LINKE., FRAKTION und FRANKFURTER (= Annahme) sowie FDP (= Prüfung und Berichterstattung)

    Sonstige Voten/Protokollerklärung:

    Stadtv. Leonhardt und ÖkoLinX-ARL (= Annahme)

    12. Sitzung der Stadtverordnetenversammlung am 23.03.2017

    , TO I, TOP 8

     

     

     

     

    Beschluss:

    a) Die Vorlage NR 250 wird abgelehnt.

    b) Die Wortmeldungen der Stadtverordneten Wehnemann, Burcu, Fuchs, zu Löwenstein und Zieran dienen zur Kenntnis.

    Abstimmung:

    zu a) CDU, SPD, GRÜNE und BFF gegen Stv. Leonhardt (CDU), AfD, LINKE., FRAKTION, FRANKFURTER und ÖkoLinX-ARL (= Annahme) sowie FDP (= Prüfung und Berichterstattung)

    Der Antrag der FRAKTION auf namentliche Abstimmung findet nicht die nach § 42 Absatz 3 GOS erforderliche Stimmenzahl von fünf Stadtverordneten.

    Beschlussausfertigung(en):

    § 1180

    , 12. Sitzung der Stadtverordnetenversammlung vom 23.03.2017

    Aktenzeichen: 00 10

  • Nummer: 250
  • Abstimmung der FRAKTION:
  • Ortsbeirat:
  • Typ: NR